The Danger of a Single Story: Die Gefahr der Einzigen Geschichte aus deutsch-weißer Perspektive

The Danger of a Single Story: Die Gefahr der Einzigen Geschichte aus deutsch-weißer Perspektive

Für CatrionaHerzlichen Dank für die wunderbare Ausbildung zum Storytelling und damit auch Danke für die ausgelöste Motivation mich mehr mit Geschichten, Narrativen, Pressearbeit und erzählungsbasierter Strategie zu beschäftigen.

Chimamanda Ngozi Adichie ist eine Ikone des Geschichten-Schreibens und Erzählens und ich möchte ihre Geschichte „The danger of a single story“ – Die Gefahr der einzigen Geschichte, welche Sie bereits 2009 als Ted Talk abhielt voller Respekt und Hochachtung (!) aus meiner eigenen deutsch-weißen Perspektive nacherzählen. Einige ihrer Absätze tauchen aber auch ganz unverändert hier wieder auf und sind als solche „kursiv in Anführungszeichen“ gesetzt. Wir können also einiges von Chimamanda lernen!

Wer das Original noch nicht kennt, kann sich hier direkt das Video anschauen und bei Bedarf Untertitel dazu einstellen.

Einen riesen Dank für die Vorlage an Chimamanda Ngozi Adichi und herzlichen Danke an Katja Tongucer für die ursprüngliche Übersetzungsarbeit und Regina Saphier für das Lektorat, was mir ebenfalls für diesen Artikel geholfen hat.

Die Gefahr der Einzigen Geschichte aus deutsch-weißer Perspektive:

Ich bin in einem kleinen nord-hessischem Dorf aufgewachsen. Mit Lesen und Schreiben habe ich erst in der Grundschule angefangen und das auch nicht ganz freiwillig, wollte ich doch lieber draußen mit meinen Freund*innen spielen und abends einfach ganz entspannt Fernsehen gucken, mich berieseln lassen.

Und im Fernsehen, da wurden Geschichten erzählt, Bücher verfilmt und Bilder gezeigt: Pippi Langstrumpf, Lucky Luke, die Gummibären Bande, Goofy und Max, die Kinder vom Alstertal, Angela Anakonda, Balu und seine Crew, Alfred Jodocus Kwak, das Sams und da ich jüngere Geschwister hatte – ja, auch die Teletubies schaute ich mir an. Das hat geprägt! Zum Einschlafen legten wir Hörspiele wie „Bibi und Tina“, sowie „Benjamin Blümchen“ ein – ich bin mir sicher, ihr kennt ähnliche Beispiele aus eurer Kindheit oder Jugend… Vielleicht ja „die ???“ oder „TKKG“ ?

Auch, wenn einige Geschichten von animierten „Wesen“ oder sprechenden „Tieren“ gespielt wurden, so spielten diese Wesen die Charaktere weißer, meist männlicher Figuren. Sie gingen auf Abenteuer, waren König im Takatukaland, kämpften gegen das scheinbar Böse im Wilden Westen und sehnten sich nach Stärke, Erfolg und Reichtum. So wie ich schließlich auch?

Nun ich war noch nicht auf Takatukaland, nicht bei Luky Luke und kämpfte eher mit der Rechtschreibung statt gegen das Böse dieser Welt. Doch die Geschichten, die ich sah und hörte bereiteten mich auf meine gesellschaftlich erwartete Aufgabe vor. Ich sollte und wollte schließlich auch die Welt entdecken und gegen das Böse kämpfen.

Da alles, was ich gesehen, gehört und auch gelesen hatte, das alles waren Geschichten, in denen die Personen so waren, wie ich: weiß, männlich gelesen, nicht behindert, finanziell abgesichert, aktiv, mächtig und selbstbestimmt. Ich war und bin auch heute noch immer und überall repräsentiert, konnte mich mit den Personen identifizieren und hatte somit auch Vorbilder. Zwar hatte ich mich mit ca. 14 Jahren in einen Jungen verliebt, aber das wurde gesellschaftlich durch Diskriminierung, die mir widerfuhr, korrigiert – ich lies ab und verliebte mich in ein Mädchen. Die Ordnung war wieder hergestellt, für mich ging es erstmal einfach weiter.

Nun, ich mochte weiße, männliche Action Filme – Alarm für Crobra 11 ganz besonders, Kommissar Rex oder auch 24 mit Jack Bauer – die bestätigten mich in meiner Position. Auch durch Serien wie „Queer as Folk“ wurde mein Queersein von der Filminsdustrie anerkannt, ich wurde wieder repräsentiert – und das gab mir eine dicke Portion Selbstvertrauen, Privilegien und Mut mit!

Aber die unbeabsichtigte Folge davon war, dass ich nicht wusste, dass es Menschen gab, die nicht existieren konnten, die Unterdrückt und persönlich, strukturell und kulturelle Diskriminierung ausgesetzt waren. Das war echt kein großes Thema in diesen Folgen.

Nun, dies änderte sich lange lange Zeit nicht. Erst als ich für ein Jahr in Südafrika lebte, einen Schwarzen Freund hatte, mich im Studium mit anderen Büchern und anderen Perspektiven beschäftigte, die meine mir gewohnte Norm in Frage stellten. Nun gibt es schon zahlreiche Bücher und durch Autor*innen wie Noa Sow, Alice Hasters, Tupoca Ogette, bell hooks, Mutlun Ergün-Hamaz, … Durch sie wandelte sich meine Wahrnehmung von dieser Ordnung. Mehr Büchertipps: hier

Ich erkannte, dass es neben dieser selbstverständlichen machtvollen weißen Norm auch Menschen gibt, die keine Stimme haben, die nicht repräsentiert werden, die ausgegrenzt und vergessen werden. Good bye Happyland sagt Tupoka Ogette im Spiegel Bestselle exit RACISM.

Die Entdeckung kritischer Weißseinsforschung und die Auseinandersetzung mit Rassismus machte mit mir Folgendes: Sie rettete mich davor, nur eine einzige Geschichte, die Single-Story, zu kennen, davor meine Privilegien als Naturgeben oder als Verdienst zu verstehen und davor meine Rolle in der Gesellschaft nicht zu reflektieren. DANKE!

Nun… Ich stamme aus einer ost-deutschen Familie, die aus der DDR geflüchtet und in Westdeutschland in der Mittelklasse angekommen ist. Mein Vater war immer viel Arbeiten und was er genau machte, wusste ich nicht. Irgendwas mit Physik und Technik. Meine Mutter war „Mutter“ – und immer da. Ich habe einen großen Bruder, einen kleinen Bruder, eine große Schwester und eine kleine Schwester – ich bin also ein doppeltes Sandwitch-Kind. Und wie es nun die Norm war, war meine Mutter für den Haushalt zuständig, mein Vater ging arbeiten. Abends aßen wir dann aber hin und wieder zusammen. „Und wenn ich mein Abendessen nicht aufaß, sagte meine Mutter: „Iss dein Essen auf! Ist dir nicht klar, dass“ Kinder in Afrika kein Essen haben? Ich hatte Mitleid und wollte helfen, wollte nicht, dass ich jemanden das Essen wegnahm und dann dieses nichteinmal aufaß, also aß ich brav mein Essen. Ob es schmeckte oder nicht…

Es verging viel Zeit und ich wurde älter, jugendlich, machte mein Abitur und danach ein Auslandsjahr – in Südafrika. Auch hier wollte ich helfen – und Abendteuer erleben. Als ich dort angekommen war, war ich überrascht. Vieles war anders, vieles aber auch gleich. Es gab Supermärkte in denen du Rittersport- und Kinderscholkolade kaufen konntest, es gab Kinos und ich habe Häuser gesehen, die einen Indoor-Swimmingpool hatten. Richtig fancy! Menschen machten Party, gingen an den Strand und hatten freshe Kleider, trugen Nikies und fragten mich ob ich Bayern München – oder Dortmund Fan sei?

Natürlich brauchen einige auch Hilfe, da die Apartheidssturkturen auch heute noch extrem wirken und die Reichtumsverteilung ein riesen Problem ist, wie auch in Deutschland und der ganzen Welt, aber ich konnte da nicht viel machen. Brauchte ich doch am meisten Hilfe dort und war dieses entwicklungspolitische Jahr für mich vorallem eine Entwicklungshilfe meiner selbst.

Ich war in einer Gastfamilie untergebracht, sie teilten das Essen mit mir, gaben mir ein eigenes Zimmer und waren herzlicher als ich es aus meiner eigenen Familie wahrgenommen hatte. Aber alles was ich über Afrika gehört hatte, war, wie arm sie waren, dass sie nicht mal Essen hatten, keine Schule hatten, Krank waren und nichts taten. „Es war für mich unmöglich geworden, sie als irgend etwas anderes zu sehen als arm. Ihre Armut war die Single Story, die einzige Geschichte“, von ihnen, die ich vor meiner Reise kannte. – Und die tolle Natur und Tiere, aus König der Löwen: Hakuna Matata.

Ich kannte nur eine Single Story über Afrika. „Eine einzige verhängnisvolle Geschichte. Diese einzige Geschichte enthielt keine Möglichkeit für Afrikaner, [mir] in irgendeiner Weise ähnlich zu sein. Keine Möglichkeit für vielschichtigere Gefühle als Mitleid. Keine Möglichkeit für eine Beziehung als gleichberechtigte Menschen.“ – Das war es, was ich in Deutschland in der Schule, im Fernsehen und auch zu Hause gelernt hatte. Vielleicht nicht intendiert, aber so subtil und durch mangelnde Diversität war das eine riesen Bildungs- und Bewusstseinslücke. Autsch!

Heute denke ich immer wieder daran. Immer wieder, wenn ich kolonial-rassistische Abbildungen, Denkmäler, Straßennamen sehe, Spendenplakate mit traurigen kleinen Schwarzen Kindern, wo weiße Personen als Helfer konstruiert werden oder wenn Witze erzählt werden, wenn sich Kinder an Fasching als „Indianer“ oder „Afrikaner“ verkleiden, ihr Gesicht schwarz anmalen und einen M.Kopf essen. Immer wieder muss ich dran denken, dass dieses Bild ein so falsches, so ein einseitiges, rassistisches und gewaltvolles Bild ist. Und das ich mich selbst doch öfter mal im Spiegel betrachten sollte.

Welches Bild existiert denn von mir? Ich bin die Norm, weiß, männlich gelesen, gesund und erfolgreich. Ich muss gestehen, dass ich mich früher nie bewusst als „weiß“ identifiziert hatte. Aber in Südafrika wendeten sich die Menschen an mich, fragten nach Hilfe, nach Geld oder begrüßten mich immer als „UMLUNGU“, das bedeutet „Weißer“ auf isiXhosa.

Ich begann diese neue Identität anzunehmen. Und in vielerlei Hinsicht versuche ich die daraus entstehenden Machtstrukturen zu reflektieren und auch mein Handeln und Denken zu verändern. Auch mache ich es mir zur Aufgabe, die einseitigen Geschichten zu verändern, z.B. durch Bildungsarbeit oder nun auch durchs Storytelling.

Meine eigene enge Sichtweise kann ich verstehen – ich bin schließlich im weißen nord-hesschischen Kleindorf aufgewachsen, wo es nur ein Schwarze Kind aus Afrika gab – das von einem Ärzte-Ehepaar adoptiert wurde. Auch Chimamanda selbst schreibt: „Das was ich über Afrika wusste, stammte aus den gängigen Darstellungen und ich dachte Afrika sei ein Ort wunderschöner Landschaften, wunderschöner Tiere, und unergründlichen Menschen, die sinnlose Kriege führen, an Armut und AIDS sterben, unfähig sind für sich selbst zu sprechen, und die darauf warten, von einem freundlichen, weißen Ausländer gerettet zu werden.“

Ich denke, diese einzige Geschichte Afrikas stammt letztlich aus der westlichen Literatur und Darstellung. Nun, hier ist ein Zitat aus den Schriften eines Londoner Kaufmanns namens John Lok, der 1561 nach Westafrika segelte und faszinierende Aufzeichnungen seiner Reise machte. Nachdem er die Schwarzen Afrikaner als „Bestien, die keine Häuser haben“ bezeichnet, schreibt er: „Es sind auch Menschen ohne Köpfe, die Mund und Augen in ihrer Brust haben.“

Nun, es ist doch totaler Quatsch und „man muss die Vorstellungskraft von John Locke eher bewundern. Aber was seine Aufzeichnungen so wichtig macht, ist, dass sie den Anfang einer Tradition darstellen, Geschichten über Afrika im Globalen Norden zu erzählen. Eine Tradition von Afrika als ein Ort von Schlechtem, von Unterschieden, von Dunkelheit, von Menschen die, mit den Worten des Poeten, Rudyard Kipling, `halb Teufel, halb Kind` sind.

Und weiße Menschen, wie ich, haben während ihres Lebens diese Single Story in unterschiedlichen Versionen immer wieder gehört und gesehen, weshalb sie so stark verankert und machtvoll ist. Und wenn dann Autor*innen wie Chimamanda Adichie afrikanische Charaktere schaffen, die Autos fahren, die nicht hungern, die also ihr Leben selbst in die Hand nehmen, dann wird ihr Werk als „nicht authentisch afrikanisch“ kritisiert, da ihre Charaktere einem gebildeten weißen Mann aus der Mittelschicht zu sehr ähnelten. — Echt jetzt?

Aber es gibt diese Geschichten nicht nur über Afrika, sondern z.B. auch über „Flüchtlinge“, Menschen mit Behinderungen oder Obdachlose. Als ich auf der Suche nach Material für einen Workshop auf ein Lied von Graf Fidi gestoßen bin, ein Rapper, der im Rollstuhl sitzt, ist mir wieder deutlich geworden, dass Menschen im Rollstuhl nicht nur Hilfe und Unterstützung brauchen, sondern auch selbstbestimmt und aktiv sein können. Das sie sogar wunderbar rappen können und persönliche, gut fundierte Kritik an dieser Gesellschaft haben und diese auch selbst äußern können und wollen. Wir brauchen noch viel mehr Sensibilität – auch was die Intersektionalität der Diskriminierungsformen angeht!

Eine Single Story, die wir kreieren, zeigt immer nur eine Seite einer Gruppe, und nur diese eine Seite, immer und immer wieder, und dann wird diese Seite zur Identität“ – zur konstruierten Wahrheit der Mehrheitsgesellschaft. Die vielen anderen Geschichten werden nicht gezeigt, womit ein falsches Bild entsteht.

„Es ist unmöglich über die Single Story zu sprechen, ohne über Macht zu sprechen.“ Wie unsere Wirtschafts- und politischen Welten, definieren sich auch Geschichten dadurch, wie sie erzählt werden, wer sie erzählt, wann sie erzählt werden, wie viele Geschichten erzählt werden – und das wird wirklich durch Macht bestimmt.

„Macht ist die Fähigkeit, die Geschichte einer anderen Person nicht nur zu erzählen, sondern sie zur maßgeblichen Geschichte dieser Person zu machen. Der palästinensische Dichter Mourid Barghouti schreibt, dass der einfachste Weg ein Volk zu enteignen darin besteht, seine Geschichte zu erzählen und mit „zweitens“ zu beginnen. Beginnt man die Geschichte mit der nordamerikanischen Lebensweise der Indigenen und nicht mit der Ankunft der Briten, erzählt man eine ganz andere Geschichte. Beginnt man die Geschichte mit dem Scheitern des afrikanischen Staates und nicht mit der Errichtung des afrikanischen Staates durch Kolonisierung, erzählt man eine völlig andere Geschichte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt von der Single Story ist die Verallgemeinerung und Generalisierung: In Workshops begegnet es mir oft, dass Schüler*innen sagen, dass es solch eine Schande ist, dass geflüchtete Männer aus Nordafrika Missbrauchstäter sind. Ja, Gewalt an Frauen ist eine Schande – aber damit Rassismus zu legitimieren ist nicht richtig. Wir sagen ja mit Blick aufs Oktoberfest auch nicht, dass alle Männer, die Biertrinken, Vergewaltiger sind, obwohl das auch vorkommt. Es darf uns nicht in den Sinn kommen zu denken, nur weil wir einen wahrscheinlich rassistisch gefärbten Bericht über Geflüchtete lesen, dass diese irgendwie alle geflüchteten Menschen repräsentierte. Aber wir kennen viele Geschichten über deutsche biertrinkende Männer und nicht nur diese eine vom Oktoberfest. Sie sind Väter, oder Aktionhelden, arbeiten hart, wollen mal feiern, sich eine Pause gönnen und stehen ja am nächsten Tag wieder auf der Matte. Biertrinken ist also normal…. Aus Nordafrika nach Deutschland zu kommen scheinbar aber nicht. Dies hat also was mit der kulturellen Macht zu tun. Über Geflüchtete kennen wir nicht so viele, vor Allem nur sehr wenige, positive Geschichten. Aber das versuchen wir auch zu verändern, z.B. durch unser Projekt Grenzgeschichten.

„Wenn man nur auf diesen negativen Geschichten beharrt, wird damit die Erfahrung der Menschen, die Einzigartigkeit einer jeden Person abgeflacht und viele andere Geschichten, die uns formten, werden übersehen. Die einzige Geschichte – die Single Story, formt Klischees. Und das Problem mit Klischees ist nicht, dass sie unwahr sind, wie Chimamanda schreibt, „sondern dass sie unvollständig sind. Sie machen eine Geschichte zur einzigen Geschichte.“

„Afrika ist natürlich ein Kontinent mit vielen Katastrophen. (Europa auch!) Es gibt ungeheure, wie die schrecklichen Vergewaltigungen im Kongo. Und deprimierende, wie die Tatsache, dass sich in Nigeria 5.000 Menschen auf eine freie Arbeitsstelle bewerben. Es gibt aber auch andere Geschichten, die nicht von Katastrophen handeln. Und es ist sehr wichtig, sogar genauso wichtig, über sie zu reden.“

„Ich hatte immer das Gefühl, es sei unmöglich, sich richtig mit einem Ort oder einer Person zu beschäftigen, wenn man sich nicht mit allen Geschichten dieses Ortes oder dieser Person beschäftigt. Die Folge der Single Story ist diese: Es beraubt die Menschen ihrer Würde. Sie erschwert es uns, unsere Gleichheit als Menschen zu erkennen. Sie betont eher unsere Unterschiede als unsere Gemeinsamkeiten.

Was wäre, wenn wir vor unserer Urteilsbildung über Geflüchtete starke Erfolgsgeschichten mitdenken. Wenn wir an unsere Urgroßeltern denken, die vielleicht auch flüchteten oder vertrieben wurden, die Flüchtlinge: Albert Einstein, Willy Brand, Hans-Dietrich Genscher oder auch an das Model, die Menschenrechtsaktivistin und Autorin Waris Dirie oder gar meine Eltern. Was wenn meine Mutter uns erzählt hätte, dass es in Afrika auch reiche und fleißige Menschen gibt, Rittersport und Kinderschokolade? „Was wäre, wenn wir einen afrikanischen Fernsehsender hätten, der verschiedene afrikanische Geschichten in der ganzen Welt verbreitet? Was der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe „ein Gleichgewicht der Geschichten“ nennt.

Was wäre, wenn wir nicht nur Lucky Luke, Goofy und Max und die weißen priviligierten Kinder vom Alstertal geschaut hätten. Was wäre, wenn wir starke und positive Geschichten von Schwarzen Menschen gesehen hätten, wenn wir Schwarze Fernsehmoderator*innen in allen Programmen hätten? Schwarze Schauspieler*innen jenseits der kriminellen Dealer-Rollen oder als Putzfrau? Was wäre, wenn es auch behinderte Superstars gibt und einen schwulen James Bond?

Und was wäre wenn wir unser Bild von Afrika differenzieren würden, z.B. mal mit einem konkreteren Blick auf Nigeria schauen: „Was wäre also, wenn wir von Fumi Onda wüssten, einer mutigen Frau, die eine TV Show in Lagos moderiert, und die fest entschlossen ist, die Geschichten zu erzählen, die wir lieber vergessen würden? Was wäre, wenn wir von der Herzoperation wüssten, die letzte Woche im Krankenhaus von Lagos durchgeführt wurde? Was wäre, wenn wir von der heutigen nigerianischen Musik wüssten. Talentierte Menschen singen auf Englisch und Pidgin und Igbo und Yoruba und Ijo. Sie vermischen Einflüsse von Jay-Z über Fela und Bob Marley bis hin zu ihren Großvätern. Was wäre, wenn wir von der Anwältin wüssten, die vor Kurzem in Nigeria vor Gericht zog, um gegen ein lächerliches Gesetz anzugehen, das von Frauen die Zustimmung des Ehemanns erforderte, wenn sie ihren Ausweis verlängern möchten? Was wäre, wenn wir von Nollywood wüssten, wo viele innovative Menschen trotz großer technischer Schwierigkeiten Filme machen? Filme, die so erfolgreich sind, dass sie wirklich das beste Beispiel dafür sind, dass Nigerianer*innen auch annehmen, was sie produzieren. Was wäre, wenn wir von tollen, ehrgeizigen Frauen wüssten, die ihre eigene Geschäfte eröffnen? Oder von denen die ein Geschäft eröffnen und manchmal scheitern, die aber nicht aufgeben und immer wieder aufstehen und weiter machen?

Wir haben große Träume – lasst uns viele Geschichten erzählen. Geschichten sind wichtig. Vielfältige Geschichten sind wichtig. Geschichten wurden benutzt um zu enteignen und zu verleumden. Aber Geschichten können auch genutzt werden um zu befähigen und zu humanisieren. Geschichten können die Würde eines Volkes brechen. Aber Geschichten können diese gebrochene Würde auch wiederherstellen.

Wenn wir die Single Story ablegen, wenn wir uns mit unseren Privilegien und Machtstrukturen beschäftigen, wenn wir realisieren, dass es niemals nur eine einzige Geschichte gibt, über keinen Ort, niemals nur eine einzige Perspektive gibt, dann erobern wir ein Stück vom Paradies zurück.

Über den Autor

JanniUmlauf administrator

Trainings für politische Bildung, Moderation und kreativen Aktivismus. Schreib mir gern eine Mail an: info@politische-bildung.com oder hinterlass einen Kommentar. Viel Spaß beim Lesen, herzlichen Dank und schön, dass Du hier bist!

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