Reflexion

Reflexion

Herzlich Willkommen zum Podcast Nr. 3 – Ich befinde mich gerade in Hogsback, einer bergigen Region Südafrikas in einem Öko-Hostel namens Terra Kaya. Diesmal geht’s aber gar nicht so viel um politische Projekte hier, sondern um Urlaub und Entspannung: Konkret um Reflexion nach Grundsätzen des Nachhaltigen Aktivismus.

Hier auch als Audio-Anzuhören


Reflexion ist für mich ein wichtiger Prozess, um mir meiner Selbst und Umwelt stets bewusst zu sein. Doch nicht nur ein wachsendes Bewusstsein, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung und vielfältige Handlungsfähigkeit kann so geschaffen werden. Leider fällt dieser Prozess aber recht häufig in den Hintergrund und wir nehmen uns nur selten Zeit über sich und das Leben ausführlich und strukturiert nachzudenken. Deshalb habe ich vor ein paar Jahren entschieden am Jahresende stets eine Pause zu machen, durchzuatmen, wenn möglich auch Sonne zu tanken und schließlich einen Prozess tiefer Reflexion einzuleiten. Aber was ist das eigentlich genau und wie soll das nun gehen? Um Reflexion zu durchlaufen gibt es verschiedene Werkzeuge die ich nutze und im Folgenden gern vorstellen möchte und euch hiermit auch herzlichst einlade, diese Werkzeuge auszuprobieren, zu diskutieren und gern mit mir dazu ins Gespräch zu kommen. Und falls ihr ebenfalls Reflexionsmethoden kennt, so schreibt mir gern dazu mehr.

Kleine Dinge können Großes schaffen

Selbstwahrnehmung stärken
Reflexion ist durchaus anstrengend, kann aber nachhaltig sehr viel Kraft und Motivation geben. Bei einer tiefen und auch selbstkritischen Reflexion ist es wichtig, dass gesunde Grundbedingungen geschaffen werden, um konstruktiv an und mit sich selbst arbeiten zu können. Vor allem eine stressfreie Zeit und liebevolle Haltung sind fördernd für den Prozess. Die folgenden Methoden können die Selbstwahrnehmung und das Gespür zu sich und zum eigenen Körper stärken und bilden somit die Basis einer ausführlichen Reflexion.

Meditation und Yoga sind wohl vielen Menschen bekannt und eignen sich hervorragend um entspannt in den Tag zu starten oder ihn zu beenden. Die Gedanken einfach mal fließen lassen. Nelson Mandela, der ebenfalls ein Verfechter täglicher Mediation war, schrieb aber auch davon, dass er immer ein Notizblock bei sich hatte, um Gedanken, die irgendwann im Laufe des Tages aufkamen, festhalten und sammeln zu können.

Tagebuch schreiben und Morning Pages:
Das wohl bekannteste Instrument ist das Schreiben eines Tagebuchs, das ganz individuell geführt wird und wegen der allgemeinen Bekanntheit jetzt aber nicht weiter beschrieben wird. „Morning Pages“ sind hingegen noch nicht so bekannt, haben aber eine nachhaltige Anti-Burnout Funktion. Der Unterschied zum Schreiben von „Morning Pages“ besteht darin, dass hierbei alle Gedanken, die aufkommen ungefiltert und direkt niedergeschrieben werden. Es geht nicht darum besonders schön, ordentlich oder sinnvoll zu schreiben, sondern das Schreiben selbst kann eine meditative Wirkung haben. Schreibmeditation! Man schreibt also einfach alles auf, was durch den Kopf geht und nachdem eine oder zwei Seiten voll sind, können diese weggeschmissen oder abgeheftet werden, wobei es nicht darum geht, später eine Art Nachlese zu machen oder gar das Geschriebene zu bewerten. Einfach mal ausprobieren 😉

Sitzplatz – Reflexionsübung aus der Wildnispädagogik zur Schärfung der Wahrnehmung.
Aus einem Einführungsworkshop in die Wildnispädagogik kenne ich die Methode des „Sitzplatzes“. Wie der Name es verrät geht es schlicht und einfach darum einen Sitzplatz zu finden und sich dort entspannt für einige Zeit niederzulassen. Häufig habe auch Kinder einen solchen Ort und besuchen ihn, wenn es ihnen z.B. nicht gut geht oder sie ein bisschen Pause und Ruhe für sich selbst brauchen. Und genau darum geht es: Ein Ort, ein bisschen sitzen, Ruhe, Pause. Das Geschehen drumherum ganz sanft beobachten, horchen, wie sich die Geräusche im Laufe der Zeit verändern und mit ihnen der Sitzplatz selbst. An diesem Ort kann man sich auch die Frage stellen, was wir als politische Aktivist*innen von der Natur für unseren Widerstand lernen können. Ein solcher Ort sollte nicht weiter als 15min von zu Hause entfernt sein, sonst kommt man wohl selten dazu ihn aufzusuchen. Den Weg dorthin kann man joggen, spazieren oder auch im Fuchsgang schleichen – je nachdem, was zur Entspannung beiträgt. Und wenn man schließlich genug an diesem Ort gesessen hat, dann geht‘s zurück ins meist doch sehr volle Leben.

Körperwahrnehmung: Progressive Muskelentspannung
Mehr dazu und eine kleine Anleitung habe ich bereits in einem extra Beitrag geschrieben: hier.

Aktuelle innere Antreiber reflektieren und liebevoll umformulieren
Innere Antreibe sind Grund- und Leitsätze, die uns prägen und nach denen sich unser Auftreten und unsere Haltung richtet. Diese sind gesellschaftlich z.B. in Sprichwörtern verankert, reproduzieren dabei unter anderen Leistungsdruck und lassen sich auch mit einer genderspezifischen Sozilisation verknüpfen. „Ohne Fleiß – kein Preis.“ , „Mach es allen Recht“, „Sei stark“ und „Jungs weinen nicht“ um nur einige zu nennen. Es ist durchaus sinnvoll auf die Suche nach den persönlichen Antreibern zu gehen, diese zu erkennen, anzunehmen, umformulieren und neu zu verinnerlichen.

Kraftgebende Antreiber können dann solche sein: „Ein Scheiß muss ich!“, „Alles genießen und dann klappt‘s“, „Es ist immer jemand da der dich trägt – der Boden 🙂 “, „Alles fließt & alles verändert sich“, „Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen magst.“ „Am Ende wird alles gut & wenn es nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“, „Vergiss nicht, dass wir viele sind!“, …

Energiefass-Analyse
Um die inneren Antreiber ein wenig zu vertiefen und auch zu differenzieren gibt es die Methode der Energiefass-Analyse. Hierbei geht es darum zu analysieren, was die jeweilige Kategorie stärkt bzw. was sie schwächt. Sinnvolle Kategorien sind dabei:

  • Körper / Gesundheit
  • Emotionales Gefühl
  • Verstand / fordernd und fördernd auf intellektueller Ebene
  • „Seele“ = Sinn-gebendes / Motivation

Schritt für Schritt schreibt man nun auf, was dem Körper / der Gesundheitgut tut: z.B. Bewegung, gutes Essen, ausreichend Schlaf. Als nächstes schreibt man auf, was dem Körper / der Gesundheit nicht gut tut und Kraft kostet: z.B. Kälte, Drogen, langes Sitzen am Computer, Stress beim Essen. Gleiches wiederholt man dann für das emotionale Gefühl, den Verstand und die „Seele“. Diese Analyse kann man immer wiederholen und schauen, wie sich die Dinge auch im Laufe der Zeit verändern.

Dankbarkeit
Es ist eine Chance Positiv zu denken und die sogenannten Autosuggestion zu nutzen, um gegen z.B. Winterdepressionen oder Miese-Gedanken anzukämpfen. Statt erschlagen von den alltäglichen und überaus anstrengenden Dingen in den Schlaf zu fallen, ist es doch gut, vor der Nachtruhe noch einmal innezuhalten, durchzuatmen und die Dinge aufzuschreiben, für die man an diesem Tag besonders dankbar sein möchte.

Breaking the silence – Gefühlsreflexion
Breaking the silence ist eigentlich eine Gruppenmethode, zu der man sicher einen eigenen Artikel schreiben müsste, doch für die persönliche Reflexion ist es schön, die wesentlichen Elemente der Methode zu benutzen. Es geht hierbei nämlich darum sich auf Gefühlsebene mit Wut, Trauer, Angst, Leere, aber auch mit Halt auseinanderzusetzen. Sprich mal mit deinen Mitmenschen, was sie wütend macht, was sie traurig macht, was ihnen Angst beschert und wann sie Leere fühlen. Vielleicht kann das Gespräch euch auch so ein wenig Halt geben, um den Weltschmerz auszuhalten.

Norakel – Reflexionsübung zur Beantwortung offener Fragen:
Statt nach Antworten zu suchen, können neue Fragen, neue Wege eröffnen und für Klarheit sorgen. Formuliere eine Frage, die dich momentan sehr beschäftigt und stelle diese Frage einer Person mit der Bitte, statt einer Antwort dir diesmal eine Rückfrage zu stellen. Sammel zu deiner Frage mindestens 10 Rückfragen und schau mal, ob dir das weiter hilft. Fragen statt sagen – das Norakel

Fragekatalog persönlich
Und da wir beim Thema „Fragen“ sind – hier auch meine persönlichen Lieblings-Reflexionsfragen:

im Fluss sein
  • Wo komm ich her? Welche Erfahrungen haben mich geprägt?
  • Wo stehe ich gerade? Worauf lege ich viel Wert?
  • Womit habe ich gerade zu kämpfen? Aktuelle Herausforderungen oder Hindernisse? Das nimmt gerade viel Zeit und Raum ein?
  • Wohin solls gehen? Dieses Jahr (oder auch in 5 Jahren?) (Grobplan)
  • Worauf möchte ich meinen Lernfokus legen (Feinplan)
  • Was sind meine Stärken / Krafquellen (Körper, Gefühl, Verstand Seele?)
  • Worin liegen meine Schwächen? Hindernisse? Kraftkostende Momente?
  • Was möchte ich persönlich erreichen?
  • Welche Rolle möchte ich einnehmen? (Aufgaben klar benennen?)
  • Welche Themen sind mir wichtig? Wozu will ich arbeiten?
  • Gibt es etwas das ich nicht machen möchte?
  • Welche Aktionsformen interessieren mich?
  • Was möchte ich mal was ausprobieren?
  • Warum eigentlich? Was ist die dahinterliegende Motivation (Geld, Ideologie, Spaß, Sinn?)
  • Warum ist es gut, dass mir Aktivismus am Herzen liegt? Warum ist es vielleicht gut, manchmal kein*e Aktivist*in zu sein?
Die Elemente kennen

Reflexionsfragen zum Thema „Arbeit“ (politische Bildungsarbeit, Aktionismus)?

  • Wie möchte ich arbeiten? (Flexibel, fest, Projektweise?)
  • Welche Arbeitsgrundsätze sind mir wichtig?
  • Wie sollte eine gute Teamarbeit / Bezugsgruppenarbeit aussehen? Was heißt Team / Bezugsgruppe?
  • Wie können wir uns in unseren persönlichen Prozessen unterstützen?
  • Wie können wir Hindernisse überwinden und wie Erfolge feiern?
  • Wie kommunizieren wir?
  • Wie sind wir organisiert? Welche Struktur?
  • Wer sind wir überhaupt? (Ein und Ausstieg neuer Menschen; wer kann mitmachen?)
  • Wie bilden wir uns weiter?
  • Wie vernetzen wir uns?
  • Wie sichern wir die Qualität von Projekten und Aktionen? (Checkliste, Grundsätze)
  • Welche Methoden / Aktionsformen will ich machen?
  • Wen wollen wir ansprechen (Zielgruppe) – und wen nicht?

Persönliche Veränderungsstrategie entwickeln
„Veränderungen scheinen immer so lange unmöglich zu sein, bis sie schließlich umgesetzt wurden.“ (Nelson Mandel) Ein Prozess, der sich an die Reflexion anschließen kann, besteht in der Entwicklung einer persönlichen Veränderungsstrategie. Ein Aktionsplan und entsprechend strategisches Handeln kann sinnvoll sein, um hier eine Struktur zu bilden. Mehr dazu schreib ich vielleicht später in einem extra Beitrag.

den eigenen Weg gehen

Nun aber herzlichsten Dank für euer Interesse am Reflexionsprozess und vor allem wünsche ich euch nun viel Spaß, tolle Erkenntnisse und auch Entspannung, wenn ihr bestimmte Methoden und Reflexionsfragen ausprobiert.

Über den Autor

JanniUmlauf administrator

Trainings für politische Bildung, Moderation und kreativen Aktivismus. Schreib mir gern eine Mail an: info@politische-bildung.com oder hinterlass einen Kommentar. Viel Spaß beim Lesen, herzlichen Dank und schön, dass Du hier bist!

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