Queer in Rostock

Queer in Rostock

Queer in Rostock. Lesben, Schwule, Trans* in der Stadtgeschichte

Aktuell und noch bis zum 20. September schmückt eine bunte Ausstellung das Kulturhistorische Museum zu Rostock. Hier ist eine noch recht kleine Zusammenstellung der homosexuellen und queeren Geschichte in Rostock zu sehen. Groß und vielfältig ist diese Ausstellung bei aber noch nicht, es werden einzelne Persönlichkeiten aus einem anderen Jahrhundert vorgestellt – Trans*realitäten aber nicht dargestellt. Eine eigentlich sehr schöne Überschrift, ein guter Ansatz, aber noch viele Punkte, die noch mit bedacht werden könnten.

„Rostock war und ist eine Stadt mit queerem Leben und einer Vielfalt von Menschen, die jenseits der heterosexuellen Norm stehen. Lange wurden ihre Geschichten nicht erzählt.“ (Auszug der Einleitung der Sonderausstellung)

Eingangsbild

Hier nun auch meine zusammenfassende Erzählung zum Museumsbesuch für alle, die nicht ins Museum fahren können, aber sich dennoch mit der Geschichte auseinander setzen möchten…

… oder für alle, die sich fragen ob sich ein Besuch in diese kostenfreie Sonderausstellung lohnt. Spoiler: Ja, lohnt sich!

Begriffs-Memory

Eingangs liegt ein Begriffs-Memory bereit, dass den Raum, der sonst antike Möbel ausstellt etwas bunter und queere wirken lässt, vielleicht auch ein wenig schrill. Um über Gender-Diversität sprechen zu können, um queer zu leben und sich entsprechend zu fühlen, brauchen manche Worte, um dies auszudrücken. Auch Gesellschaft braucht scheinbar neue Schubladen (M/W/D), damit queeren Menschen dort hinein geordnet werden können, denn für Genderfrei (exit genderwelten) ist es gesellschaftlich vielleicht noch zu früh? Aber doch: Männer können Kinder gebären und zeigen dies auch online: z.B. instagram.com/kaydenxofficial

Begriffe wie: Cisgender, Agender, Enby, Dysphorie, Transition, Heteronormativität, etc. werden vorgestellt. Ein Online-Wörterbuch zu einschlägigen Begriffen aus dem queeren Leben, ähnlich wie in der Ausstellung, gibt es auf 100mensch.de oder hier

Rundgang

Starten wir nun aber unseren Rundgang im Museum:

Historische beginnen wir im Jahr 1532, denn die vom Kaiser Karls V. religiös geprägte Gerichtsordnung bedrohte Männer und Frauen. Gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen wurden mit dem Tod durch Verbrennen bestraft. Auch das 1788 erlassene herzogliche Kriegsrecht von Mecklenburg-Schwerin erhielt ebenfalls diese Strafe. „Erst danach folgten ein Übergang zu hohen Haftstrafen und die Abkehr von der juristischen Verfolgung lesbischer Frauen“, so die ersten Zeilen des Ausstellungsbeginn.

Anschließend erfolgt eine kurze Erläuterung zum Paragraf 175 und die KZ-Symbolik (Kennzeichnungspflicht) wird vorgestellt. Im Paragrafen 175 wurde „widernatürliche Unzucht“ zwischen Männern mit Haft bedroht. Nach 1933 waren selbst begehrliche Blicke“ strafbar. Erst 1994 wurde der Paragraf vollends aus dem Strafrecht gestrichen.

§ 175 Darstellung und KZ-Kennzeichnung

Von Henni Lehmann bis Queerolina

Weiter in der Ausstellung werden einige mehr oder weniger berühmte Personen vorgestellt. Darunter z.B. auch die jüdische Künstlerin Henni Lehmann (1887-1937), die allerdings mit einem Mann verheiratet war und zwei Kinder hatte. – Warum nun im queeren Museum?

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Henni Lehmann

Die Malerin und sozial-engagierte Literatin zog nach Rostock und wirkte hier als Vorsitzende im Frauenverein. Ob sie selbst nun queer oder lesbisch war, wird nicht erwähnt und ich frage mich, warum sie in dieser Ausstellung ist. Nun ja, zusammen mit Clara Arnheim ermöglichte sie auf Hiddensee die ersten Ausstellungsmöglichkeiten für Frauen, darunter auch lesbische Künstlerinnen. Die Ausstellungen im Rahmen des Hiddenseor Künstlerinnenbund fanden bis 1933 statt. Viele Mitglieder wurden von den Nazis verfolgt und in KZs deportiert.

Kate Diehn Bitt

Im Museum wird eine weitere Persönlichkeit vorgestellt: Kate Diehn Bitt, welche seit ihrem 6. Lebensjahr Privatunterricht in Kunst- und Literaturgeschichte erhielt. 1933 bezog sie ein Atelier am Rostock Brink. Doch in der Zeit der nationalsozialistischen Ideologie erhielt sie anfangs viele Anfeindungen, nach ihrer ersten Ausstellung sogar ein Malverbot, da ihr Werk als entartet diffamiert wurden. Sie zeichnete sich als Malerin, einer Tätigkeit, die dem Frauenbild der Nazis so wohl nicht entsprach. Wo hier nun aber der explizit queerer Gehalt ist, wird mir leider nicht deutlich.

Heinrich Albers

Nächstes Beispiel und weiter in der Ausstellung geht es mit Heinrich Albers (1885.1935), der als Schauspieler von 1910 bis 1913 am Rostock Stadttheater beschäftigt war. Auch in Wismar wirkte er ab 1914 als Intendant mit anspruchsvollen Stücken. 1935 wurde er von der Gestapo verhaftet und in Kiel angeklagt. Er solle gegen den Paragraphen 175 (Verbot von schwulen sexuellen Handlungen) verstoßen haben. In der Untersuchungshaft Berlin-Moabit nahm er sich schließlich das Leben. (Weiterführendes: hier)

Bild von Wikipedia

Wilhelm von Gloeden

Ein schwuler Volkshagener Fotograf (der hauptsächlich in Sizilien arbeitete), findet als nächstes Platz in der Ausstellung. Wilhelm von Gloeden: In seiner Kunst der Fotographie, berühmt durch den „sizilianischen Knaben“, vereinte er elegante Posen, außergewöhnliche Beleuchtung und den ersten Einsatz von Körperschminke – allerdings vorallem „um die unreine Haut der arbeitenden Knaben zu kaschieren“.

In Sizilien „schloss er Freundschaft mit dem Bürgermeister von Taormina, dem deutschen Maler Otto Geleng. Dies und sein im Vergleich zur damals äußerst armen Bevölkerung Süditaliens beträchtlicher Reichtum mögen erklären, warum seine Homosexualität und deren offensichtliche Ausprägung in seiner Arbeit von den Einheimischen toleriert wurde.“ (Wikipedia)

Marianne Hoppe

Marianne Hoppe wird als nächste Figur vorgestellt. Als geborene Rostockerin gilt sie als eine der wichtigsten Schauspielerinnen während der NS-Zeit und der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Sie lebte von 1936 bis 1946 verheiratet mit Gustaf Gründgens zusammen, um sich vor Anfeindungen und der Verfolgung der Nazis zu schützen, da sie eigentlich bisexuell war. Hoppe lebte in den 1970er Jahren mit der Schauspielerin Anni Mewes in einer festen Lebensgemeinschaft zusammen, wovon in der Ausstellung allerdings nicht berichtet wird.

Friedrich Eggers

Weiter und wie bereits oben im Trailer erwähnt, erfährt Friedrich Eggers Aufmerksamkeit. Als Kunsthistoriker und gebürtiger Rostock verfasste er Literatur und kunsthistorische Schriften, wirke als Redakteure und Herausgeber und war Gründer des Deutschen Kunstblattes, sowie angesehener Professor an der Kunstakademie Berlin. Also ein erfolgreicher Mann. Aber wie und wo er nun homosexuell lebte wird nicht eindeutig. Seine Vorliebe wird jedoch erläutert: Er „beklagte es oft, daß die Sitten der heutigen Zeit es dem Manne verbieten, farbige Stoffe zu tragen. Er selbst ließ es sich denn auch nicht nehmen, sein farbenfreudiges Auge wenigsten an bunten Westen von Seide, Sammet oder anderen Stoffen zu ergötzen, und besaß davon eine große Sammlung.“ (T. Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig, S. 188.)

„Sein ebenfalls aus Rostock stammender Freund Adolf von Wilbrandt nahm ihn als Vorlage für die Figur des bisexuellen Fridolin in seinem Roman Fridolins heimliche Ehe, welcher 1875 veröffentlicht wurde, als Wilbrandt in Wien weilte. Der gemeinsame Freund Fontane schreibt in seiner autobiografischen Schrift Von Zwanzig bis Dreißig, dass Fridolin in dieser „reizenden Geschichte“ „frei nach dem Leben gezeichnet“ wurde.“ (aus Wikipedia).

Das Werk sei eines der ersten Prosatexte mit queerem Inhalt und wurde kurz nach dem Erscheinen ein Bestseller, vor allem wohl in Rostock. „Der Roman beschreibt das unterschiedliche Begehren und die geschlechtliche Vielfalt der Hauptfigur.“ Gleichzeitig werden die fließenden Grenzen zwischen Weiblichkeit und Männlichkeit reflektiert.“

Auf einer Enzyklopädie für homosexuelle Inhalte (homowiki) heißt es, es sei „der erste „schwule“ Roman der deutschsprachigen Literatur und jedenfalls der erste schwule Roman mit Happy End. Er wurde 1875 publiziert, stellt kein Meisterwerk dar und ähnelt stilistisch oft der Nacherzählung einer Boulvardtheateraufführung.“ -> Hier heißt es also schwul, oben queer. Werden diese Identitäten nun synonym verwendet?

Kritik:

Audio-Beitrag und N-Wort

Einen Ausschnitt des Romans kann man in der Ausstellung anhören. Hier wird die Vielfalt der Geschlechter auch mit der Vielfalt von Hauptfarben verglichen, wobei allerdings im Audiobeitrag auch das N-Wort ausgesprochen wird und von mir einen dicken Daum nach unten bekommt. Wenn der Anspruch besteht, eine emanzipatorische Ausstellung zu machen, so muss auch audiotechnisch darauf geachtet werden!

Ein zweiter Audio-Beitrag, ein Poetry-Slam: der ist ganz nice anzuhören! Aber verlassen wir nun diese Zeit und machen einen kleinen zeitlich Sprung weiter in der Ausstellung. Hier wird die DDR-Zeit und Gegenwart zusammengefasst.

DDR

Bekannt ist, dass die rechtliche Diskriminierung in der DDR abgebaut wurde. Auch, wenn es ein Tabu blieb oder viele Schwule, die sich z.B. künstlerisch und kulturschaffend beteiligten doch wieder ins Visier der Stasi gerieten und somit Probleme bekamen. Kurz Werbung: In meinem Projekt „Fluchtpunkte“ arbeite ich mit dem Zeitzeugen Mario Röllig zusammen, der dazu noch mehr erzählen kann! Es gibt zahlreiche online Videos – aber wir kommen auch gern zu Ihnen an die Schule oder Veranstaltung. Zurück zur DDR: Auch gesellschaftliche Diskriminierung blieb bestehen. Wohnraum für Unverheiratete war beispielsweise schwer zu bekommen. Es gab auch nur wenige Treffpunkte für Schwule. Lesbische Frauen und Transpersonen hatten kaum Möglichkeiten zur Vernetzung und blieben unsichtbar, so die Beschreibung in der Ausstellung. Wie auch heute noch, waren damals Namensumbenennungen für Transpersonen sehr schwer und auch an Arbeitsplätzen herrschte Diskriminierung.

Der Rostocker Arbeitskreis Homosexualität

Ein Ort an dem Homosexuelle sich trafen und zusammen arbeitet war die Petri Kirche. Am 10. Mai 1985 wurde der Arbeitskreis gegründet und organisierte Vorträge und Austausch über soziale, ethische und medizinische Themen, organisierten Theaterbesuche, Wanderungen und Ferien. 50 Personen, meist Männer waren dort engagiert. Die Stasi beobachtete dies natürlich und inoffizielle Mitarbeiter (Spitzel) waren sogar in in der Leitungsebene vertreten.

Die jüngsten 30 Jahre

Seit den 1988-Jahren wurden monatliche Abendversanstaltungen organisiert. Der Verein rat+tat e.V. gründete sich. Auch gab es das Frauencafe „Wespennest“ (1996-2001) und im Juni 2001 fand das überregionale Lesbenfrühlingstreffen in Rostock statt. 1.800 Lesben kamen nach Rostock und nahmen an Workshops, Lesungen und andere Veranstaltungen teil. 2003 gab es den ersten Christopher Street Day und 2010 das erste selbstorganisierte Queer Film Fest in Rostock. Das Maskottchen „Queerolina“ wird mit Schlips und Hackenschuhen im Museum ausgestellt.

Weitere Ausstellungsobjekte

In der Mitte des Raumen befinden sich dann nochmal Tische mit Ausstellungsgegenständen und auch einer Beschreibung eines Schulprojektes. Dieses hat eine spannende Kunst-Gedenken-Ideen im Rosengarten geplant.

Ausstellungsstücke
Regenbogen-Park-Bank im Rosengarten

Fazit zur Ausstellung:

Queerolina – Queer Film Fest Maskottchen

Mega gut, dass es eine solche Ausstellung gibt, dass es Thema ist und wir Geschichten der Homosexuellen, Queeren und Transpersonen hören. Doch der Inhalt reproduziert wieder klassische Bilder von Homosexuellen, wobei wie häufig Transpersonen vollkommen unsichtbar sind und bleiben. Wenn Transpersonen damals nicht sichtbar waren, dann lassen sich heute nur schwer diese Geschichten erzählen. Hier braucht es also noch mehr Recherche und Aufarbeitung. Verfolgung und Ermordung gehört ohne Zweifel zur Geschichte dazu, diesen muss angedacht werden, um eine Wiederholung zu vermeiden und den Opfern zu würdigen. Doch auch emanzipatorische und Kraft-gebende Worte sind wichtig und müssen noch verstärkt Raum und Platz finden!

Auch verschwimmen hier viel zu oft die Lebensrealitäten, da auch nicht homosexuelle Personen dargestellt werden. War es nicht eine Sonderausstellung für homosexuelles, queeres und trans Leben von Menschen in Rostock? Wenn sich Personen in Frauenbünden stark gemacht haben, so ist das für mich ein wichtiger feministischer und auch zu erinnernder Aspekt, aber eben kein queerer Ansatz. Auch die Begrifflichkeit „queer“ wird in dieser Ausstellung beliebig benutzt und verliert damit ihre eigentliche Bedeutung.

Die Ausstellung „Queer in Rostock“ entstand in Zusammenarbeit von Vereinen, Initiativen und Privatpersonen mit dem Verein Lola für Demokratie in Mecklenburg-Vorpommern e.V., dem Kulturhisturischen museum Rostock und der Stiftung Mecklenburg. Die Plattform https://www.un-sichtbar-mv.de/ bietet noch mehr Material!

Ich wünsche weiterhin ein gutes und reflektiertes Arbeiten und bin auf weitere Ausstellungen, aber auch Kommentare und Gespräche zu dem Thema gespannt!

Mehr zum Thema Gender, Sexismus und Handlungsmöglichkeiten gibts hier: Exit-Genderwelten

Über den Autor

JanniUmlauf administrator

Trainings für politische Bildung, Moderation und kreativen Aktivismus. Schreib mir gern eine Mail an: info@politische-bildung.com oder hinterlass einen Kommentar. Viel Spaß beim Lesen, herzlichen Dank und schön, dass Du hier bist!

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