Flüchtlinge – Das Wort des Jahres 2015 – Kritik und Alternativen

Flüchtlinge – Das Wort des Jahres 2015 – Kritik und Alternativen

„Flüchtlinge“ wurde zum Wort des Jahres 2015 gewählt – ist die Bezeichnung „Flüchtlinge“ politisch korrekt? Welche Diskussion und Statements hat die Wahl ausgelöst? 

Am 11.Dezember hat die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort „Flüchtlinge“ zum Wort des Jahres gewählt, denn es „steht nicht nur für das beherrschende Thema des Jahres, sondern ist auch sprachlich interessant.“ Anders als in den vergangen Jahren, handelt es sich diesmal aber nicht um ein neu konstruiertes Wort wie etwa „GroKo“, „Wutbürger“ oder „Abwrackprämie“, sondern um ein Wort, dass es bereits seit Jahrzehnten gibt und in Meiden, auf Arbeit oder beim Abendessen mit der Familie stets genutzt wird. Es ist also in aller Munde und hat den gesellschaftlichen Diskurs des Jahres wie kein anderes geprägt. Die Wahl scheint also verständlich zu sein…

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Aber auch die Verwendung des Wortes „Asylant“ häufte sich in letzter Zeit an verschiedensten Orten, wobei hier der abwertende Charakter eher unumstritten ist. „Asylant“ ist Nazisprech, also rassistisch aufgeladen und „das sagt man nicht.“ Anders als beim Wort Flüchtling.

Mit der Wahl des Wortes schafft die Gesellschaft nun eine Diskussion um die Bedeutung und Wirkungweise des auf -ing endenen Substantives. „Gebildet aus dem Verb flüchten und dem Ableitungssuffix -ling (›Person, die durch eine Eigenschaft oder ein Merkmal charakterisiert ist‹), klingt Flüchtling für sprachsensible Ohren tendenziell abschätzig: Analoge Bildungen wie Eindringling, Emporkömmling oder Schreiberling sind negativ konnotiert, andere wie Prüfling, Lehrling, Findling, Sträfling oder Schützling haben eine deutlich passive Komponente.“ Und dieses mit Stereotypen aufgeladene Bild von geflüchteten Menschen wurde und wird in Medien, Politik und Gesellschaft stets reproduziert und durch andere Kollektivsymbole wie „Flut“, „Strom“ oder „Krise“ erweitert und dramatisiert. Die „Flüchtinge“ welche Finanzminister Scheubel gar mit einer „Lavine“ vergleicht müssen dabei „eingedämmt“ und das „Chaos“, was sie ausgelöst haben, unter „Kontrolle“ gebracht werden. Das Wort und der Diskurs konstruiert damit eine unberechenbare Gefahr, die scheinbar „unsere“ Identität gefährde. Die Schuld des „Chaos“ wird dabei nicht etwa dem Versagen der hiesigen Politik und Verwaltung sondern stets den Geflüchteten selbst zugewiesen und in letzter Zeit auch persönlich ausgetragen. Es gab mehr als 500 Brandanschläge auf Unterkünfte allein in diesem Jahr!

Aber wer ist das eigentlich – ein Flüchtling? Es sind doch ganz verschiedene Menschen, aus verschiedenen Staten, mit verschiedenen Berufen und verschiedenen Lebens- und Fluchtgeschichten. Und sie alle werden nun in einen Topf geworfen und ein einziges Merkmal, konstruiert sie als eine große Masse, die „uns“ gegenüber stehe: Flüchtling – „Es ist aber niemand nur Flüchtling. Die Menschen, die vor Krieg und Verfolgung nach Europa flüchten, sind mehr: Mütter oder Väter, Ingenieure oder Köche, sie haben Bücher gelesen, Filme gesehen. Sie haben im vollen Sinne gelebt und werden es weiterhin tun. Die Flucht ist nur eine Episode in ihrem Leben.“ Und sie sind auch politisch agierende Subjekte, die auch reich und intelligent sein können, die eine Meinung und Wünsche haben.

Und nein! „Sie“ sind nicht kriminell, jedenfalls nicht krimineller als du und klar benehmen sie sich vielleicht auch einmal daneben, ganz genauso wie du! Und ja, sie haben auch neue Smartphones, aber dafür doch sehr selten ein Auto oder ein Eigenheim oder ein Laptop oder eine Kaffemaschiene und oft haben sie auch keine vollständige Familie mehr. Es ist doch dann klar, dass sie „investieren“ in ein gutes Telefon, denn dieses ist Mittel zur Planung und Durchführung der Flucht und gleichzeitig auch Instrument um mit Verwandten und Freund*innen in Kontakt zu bleiben. Jeglicher Sozialneid wegen neuen Smartphones ist mir so unverständlich, wie die Relativitätstheorie, wobei ich diese im Grundsatz vielleicht eher nachvollziehen kann.

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Die Wahl des Wortes schafft nun einen Ansatz um kritisch auf die Sprache zu schauen und Bilder, die wir im Kopf haben, zu hinterfragen und gegebenfalls zu verändern. Doch was darf man denn nun sagen? Erstmal geht es nicht darum, dass man das eine oder andere nicht sagen dürfte oder dass es irgendwen gibt, der oder die dir dein Recht auf Sprache und Meinung absprechen möchte. Wenn du „Asylant“ oder „scheiß Ausländer“ sagen willst, dann mach das, aber dann bist du in diesem Punkt halt auch einfach rassistisch. Und wenn du nicht „gendern“ magst, dann lass es, aber dann hälst du damit auch patriarchale Strukturen aufrecht und bist auch latent sexistisch. Es geht also bei der Diskussion oft um die Sicherung von Herrschaft und Macht, die sich in und durch Sprache (re)produziert. Also eher sollte man sich fragen, warum es so wichtig ist, Begriffe oder SPrechweisen aufrecht zu erhalten, die klar abwertend oder auch einfach nur kritisch gesehen werden. – Weil „dann kann man ja gar nichts mehr sagen“ – Wirklich? Sei doch mal kreativ oder hör zu, denn Menschen kritisieren Worte ja mit Gründen und nicht nur „weil sie das Wort nicht so schöööön finden“

Alternativen: Anstatt nun ein Wort zu nutzen, dass problematisch zu sein scheint, sollte beim Sprechen eine generelle Sensibilität vorhanden sein, und dabei Menschen als Subjekte ansehen, die ein „GRUNDRECHT auf Asyl haben.“ Damit ist auch „Asylbewerber“ paradox, denn auf Grundrechte muss man sich eigentlich nicht bewerben, da sie einem zustehen (also auch einklagbar sind)! Es ist also nicht die gutmütige Merkel, sondern es sind „unsere Werte“, die Menschen, welche auf der Flucht sind, Unterstützung und Hilfe garantieren.  Es sind Menschen, die geflüchtet sind, Menschen, die Schutz suchen oder Menschen, die nun hier leben (wollen/müssen) – Es sind vielleicht auch unsere neuen Nachbarn, unsere neuen Freund*innen oder es ist einfach Ibrahim, Abdoulla oder Jessica. Dieses „wir“ und „die andren“ können wir damit einpacken, können so eine „Willkommenskultur“ schaffen und respektvoll mit Menschen umgehen, die ihr gesamte Heimat verloren haben oder aus anderen Gründen nach Deutschland geflüchtet sind. Auch dieses „Wirtschaftsflüchtling“ oder „kein richtiger Flüchtling“ beinhaltet so viel Rassismus, der „uns“ weißen Kartoffeln vielleicht gar nicht so offensichtlich erscheint. Lasst uns anerkennen, dass es Flucht immer schon gegeben hat und geben wird, leider etwas Natürliches ist, solange Deutschland und andere Staaten Profit aus Waffenproduktion und der Kriegsmaschinerie schlagen und dass Menschen nicht mit Spaß und aus Freude flüchten, leichtfertig alles was sie aufgebaut haben hinter sich lassen, um in ein rassistisches Land zu kommen, was glaubt, die ideologische Prägung einer rassistischen Diktatur komplett reflektiert und abgelegt zu haben.

Lasst uns weiter darüber sprechen, in wie fern Worte Realitäten schaffen und zu abwertenden Handlungen und Übergriffe führen. Und lässt uns kritisch und neugierig bleiben!

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Über den Autor

JanniUmlauf administrator

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